Gedanken von Matthias Häcker, dem Veranstalter des No Playback Festivals und wie er die Absage erlebt hat.

 

Als die ersten Corona-Fälle in Italien, zwei Wochen vor dem Festival bekannt wurden, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Pandemie auch in Deutschland ihren Lauf nimmt. Trotz mulmigem Gefühl im Bauch, war ich mir da noch sehr sicher, dass es am No Playback Festival vorbei gehen würde.

 

Eine Woche später waren schon über 200 Leute in Deutschland betroffen. Doch wie hoch ist schon die Wahrscheinlichkeit, dass bei einer Veranstaltung unter 1000 Menschen, gerade ein Corona Fall dabei ist? Also habe ich mir und unseren Fans mit positiven Beiträgen Mut gemacht. Von da an wurde die Anspannung täglich exponentiell größer. Ab Mittwoch (das Festival sollte samstags stattfinden) fühlten sich die Minuten schon an wie Stunden, überall Konzertabsagen, in anderen Bundesländern waren nur noch 100 Leute erlaubt. Wie lange würde es noch dauern, bis das auch bei uns gilt?

 

Dann ein Telefonat mit dem BULLET-Management, das befürchtete BULLET könnten zwar einreisen, würden aber nicht mehr nach Hause kommen. Ich hätte sie zur Not selbst nach Schweden gefahren. Dann wurde das Elsass zum Risikogebiet erklärt, ein Schock! Gerade das Elsass, wo wir so viele Freunde haben, die zum Festival kommen möchten! Außerdem eine Band mit Musikern aus dem Elsass. Ich habe abgewartet, obwohl das Risikomanagement vorsah, keine Leute aus Risikogebieten reinzulassen. Kann ich meine Freunde wirklich nach Hause schicken?

 

Donnerstag: Mittags erreicht mich ein Anruf von CRISIX. Die Band kann nicht kommen. Es ist jemand krank und in der Heimatstadt grassiert Corona heftiger als im Rest von Spanien. Gerade CRISIX, auf die ich mich so sehr gefreut habe. Dennoch ein Ersatz gesucht und gefunden. Dann am Abend eine Pressekonferenz von der Kanzlerin: „Alle unnötigen Veranstaltungen sollten abgesagt werden“ Was ist denn bitte nötig? Und heißt sollten gleich müssen? In der Nacht war nicht mehr an Schlaf zu denken. Die ersten Helfer der Crew haben bereits abgesagt, 3 von 7 Bands können nicht mehr und dazu das schlechte Gewissen: Kann man mit seinen Freunden noch ein Konzert veranstalten, wenn man Familienangehörige schon lieber zu Hause lässt? Und ist es richtig, mit dem Rest der Fans eine Party zu machen, während viele schon zu Hause in Quarantäne bleiben müssen?

 

Die gesamte Last dieser Fragen, lag Freitagmorgen alleine auf meinen Schultern. Der Rest meiner Crew wollte unbedingt weitermachen und das Festival durchziehen. Das Ordnungsamt konnte aber nicht mehr sagen, ob die beschlossenen Hygienemaßnahmen von letzter Woche noch ausreichend waren. Allerdings war zu erwarten, dass die Landesregierung am Nachmittag verbindliche Maßnahmen vorschreiben wird. Bis Freitagmittag war also fast die Hälfte der ursprünglich geplanten Bands ausgefallen, ¾ der Crew konnte nicht mehr helfen. Nahezu alle anderen Veranstaltungen waren bereits abgesagt und eine Beschränkung auf 100 Personen wahrscheinlich. Statt die letzten Vorkehrungen fürs Festival zu treffen, war ich nur noch mit dem Bearbeiten weiterer Hiobsbotschaften beschäftigt. Die Musik war komplett in Vergessenheit geraten. Ich begann sämtliche Stellen anzurufen und die Veranstaltung wegen Undurchführbarkeit abzusagen.

 

Danach bin ich zusammengebrochen. 10 Monate Arbeit waren in diesem Moment zerstört worden. Als ich das begriffen hatte, informierte ich alle, dass wir doch weitermachen, wenn es nicht endgültig von Amtswegen verboten wird. Dieses endgültige Verbot kam am späten Nachmittag in Form einer Allgemeinen Verfügung, die alle Veranstaltungen in geschlossenen Räumen verbat. Für mich der Moment in dem die gesamte Anspannung endlich abgefallen ist.

 

Was dann auf die Absage folgte, war eine beispiellose Welle der Anteilnahme und Unterstützung. Spendenaufrufe und weitere tolle Ideen wurden geäußert. Viele Ticketinhaber haben sich öffentlich dazu bereiterklärt ihr Ticket zu behalten. Innerhalb von 3 Tagen habe ich fast die Hälfte der Festival-Shirts verkauft, was einen enormen Anteil der Fixkosten reduziert. Jede noch so kleine Hilfe ist Antrieb das Festival im nächsten Jahr wieder anzugehen. Für all die Unterstützung möchte ich mich von ganzem Herzen bedanken und werde die Ticketinhaber mit einer noch schöneren Party 2021 belohnen.

 

Matthias Häcker, Veranstalter des No Playback Festivals